Das ist es, was Dieter immer wiederkehren lässt. Und er hat bei seinen Touren durchs Montafon auch eine Freundin gefunden. Stets begleitet sie ihn, von fast überall kann er sie sehen. Nahe stehen möchte er ihr – sie erobern. Doch damit steht er nicht alleine. Alle Montafoner haben sie in ihr Herz geschlossen – dabei ist die Zimba nicht einmal hoch. Mit gerade einmal 2643 Metern kann sie in Alpinistenkreisen keine allzu verlockenden Maße aufweisen. Ihr Felsenkleid gilt zudem als brüchig. Doch ihre Ausstrahlung und der Ausblick stehen über allem. Die Zimba ist ein Symbol, das Wahrzeichen des Montafon. Mit ihrer eleganten Form erinnert sie stark an das Matterhorn. Zur Fotogalerie Tourenbuch Zimba
Vom Blumendorf Vandans aus das Rellstal hinauf zu wandern, ist keine gute Idee. Zäh und ohne landschaftlichen Reiz ist die Straße. Besser den Wanderbus abwarten, der bis zur niedlichen Rellskapelle fährt, so dass man gleich mittendrin steht in dem großartigen Talschluss am Fuße der Zimba. Diese im Blick steigt es sich leicht zur nahen Heinrich-Hueter-Hütte. In der hölzernen Stube bullert der Ofen. Es ist kalt geworden und das mitten im Hochsommer. Dieter kommt diese Wetterströmung gerade recht, denn sie verspricht gute Fernsicht.
Es scheint, als sei die Zimba ein Berg für Langschläfer. Es gibt keinen Grund zu nachtschlafenden Zeiten aufzubrechen, sagt Guntram und holt Dieter um acht Uhr von der Hütte ab. Guntram Bitschnau ist bekannt wie ein bunter Hund, schließlich war er bis vor kurzem noch Bürgermeister von Tschagguns. In den Amtsjahren lag seine Bergführertätigkeit brach, die er jetzt wieder aufgenommen hat. In bedächtigem Schritt steigt er die endlosen Kehren hoch. Dieter hinterher. Am Zimbajoch erklärt Guntram ihm die Berge. In seiner 25jährigen Bergführerzeit stand die Zimba im Mittelpunkt: 200 Mal wird er wohl schon oben gewesen sein.
Mittlerweile sind Guntram und Dieter auf dem ersten Gratabsatz, dem so genannten „Frühstücksplatz“ angekommen. Sie seilen sich an. Schon nach ein paar Metern fordert die luftige Sohmplatte Dieters Nerven. Die glatte Platte trennt als Schlüsselstelle die Spreu vom Weizen. Manche sind hier schon umgekehrt, obwohl die Stelle auch über ein System von Kaminen umgangen werden kann. Während Dieters Füße auf „Reibung“ gehen, folgt er den von Guntram gewählten Griffen am oberen Rand und hat so leichteres Spiel als gedacht.
Der Rest ist reines Klettervergnügen mit ergreifenden Tiefblicken. Am Gipfel spendiert Guntram eine Runde Schnaps. Beide genießen still und ergriffen die Rundschau. Der Blick schweift gegen Süden weit über die Silvrettagipfel und das Rätikon bis hin zu den italienischen Alpen, im Norden zum Rheintal mit dem Bodensee. Erst beim Abklettern begegnen ihnen erste „Bergkameraden“: zwei fesche Vorarlberger Mädels. Mit denen wär Dieter auch gern auf dem Gipfel gewesen! Zurück am Joch trennen sich die Wege. Guntram muss links, Dieter will rechts, um den Berg seiner Träume von allen Seiten zu begutachten. Die Sarotlahütte tief unten am Nordfuß wird seine Herberge sein. Zur Fotogalerie Tourenbuch Zimba Seit 18 Jahren führt Andreas Hassler den Betrieb. Die Versorgung hier ist weitaus beschwerlicher als die der Heinrich-Hueter-Hütte. Für die Frischwaren steigen er oder sein Sherpa-Gehilfe Sumba fast täglich ins Tal ab. Seit vielen Jahren hilft Sumba dem Andy aus und seit sie sich in Nepal kennen gelernt haben, verbindet sie eine tiefe Freundschaft. Den Auftakt zum köstlichen Abendessen macht eine dampfende Suppe voller Momos. Auch das noch, die tibetischen Teigtaschen sind Dieters Leibgericht. Und die zwei Vorarlberger Mädels tauchen auch noch auf. Abgeseilt haben sie sich über den Nordostgrat. Es wird ein lustiger Abend.
Früher Aufbruch. Noch ist es schattig, als er sich die vielen Serpentinen von der Sarotlahütte hinaufschuftet. Nur ganz oben lässt erstes Sonnenlicht das Horn der Zimba erglühen. Im Kar unter ihrer Nordostwand sucht er nach einem Weg. Die Spuren verlieren sich im steilen Schutt des Steintäli.
Düster wirkt das enge Couloir, zu dem er sich vorsichtig über einen exponierten, rutschigen Hang herangearbeitet hat. Lose Erde macht das Vorwärtskommen heikel, doch dann entdeckt er ein Seil, an dem er sich hochhangeln kann. Schon bald steht er in der Neyer-Scharte, wo vor ungefähr 50 Jahren die erste Zimba-Route eröffnet wurde. Die Überschreitung über den Ostgrat, auch wenn sie mitunter als brüchig abgetan wird, gilt heute als beliebte Genusskletterei im III. und IV. Grad. Dieter starrt hinauf und stellt sich den Toni vor. Er wird wohl kaum geahnt haben, dass die Zimba 100 Jahre später zum meist besuchten Kletterberg im Montafon avanciert. Doch längst hat sich der Rummel gelegt.
Durch einen jüngeren Trend in der Kletterbewegung hat sich die Szene verlagert zu schwierigerem, aber auch zu Plaisir-Terrain in festerem Gestein. Gut so! Heute nutzen nur noch Gipfelsammler, überwiegend auch Einheimische, den Berg und die Zimba bleibt, abgesehen von ein paar Wochenenden zur Hauptsaison, wieder ziemlich einsam.
Was vielen vor der Ostgrat-Route Probleme bereitet hat, nämlich die richtige Scharte zum Einstieg zu finden, ist jüngst galant gelöst, dank der Einrichtung eines Klettersteigs. Dieter braucht also nur noch dem Drahtseil zu folgen, das ihn sicher durch das Felsengewirr zurück zur Normalroute bringt. Dennoch braucht er lange, denn zahlreiche Aussichtsbalkone längs der Route laden zur ausgiebigen Rast und zum Sonnenbaden ein.
Text: Iris Kürschner