Tourenbuch

Wandertour: Oberstdorf-Meran

Für die ALPIN-Leserreise anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Klassikers Oberstdorf – Meran haben wir uns etwas Besonderes vorgenommen: ein Webtagebuch für unseren Online-Auftritt. Der Clou: Die Artikel werden von unterwegs gesendet und sind bereits am folgenden Tag online abrufbar.

Wandertour: Oberstdorf-Meran
Laufen in idyllischer Landschaft.
Laufen in idyllischer Landschaft.

Dementsprechend übertrifft mein Rucksack das von der Bergschule Oberallgäu empfohlene „zulässige Gesamtgewicht“ von acht Kilogramm deutlich. Ein Laptop mit Tragetasche, Maus, UMTS-Card und Netzkabel, Diktiergerät, Notizblock sowie eine Digitalkamera samt Ladegerät für den Akku: Das alles lässt den Zeiger der heimischen Waage auf über 14 Kilogramm schnellen.

Glücklicherweise sind bei den Hüttenanstiegen Rucksacktransporte vorgesehen – die ich, wie die restlichen 21 Teilnehmer, dankbar annehmen werde. Am ersten Etappenziel nehme ich auf einem kleinen Wiesenstück oberhalb der Kemptner Hütte den Kampf gegen die Tücken der Technik auf. Als mir die Sonne das Licht ausknipst, gebe ich endlich auf und hoffe auf den nächsten Tag. Na ja!

Dieser beginnt mit dem Aufstieg zum Mädelejoch (1974 Meter), der natürlichen Grenze zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland. Bergführer Udo Zehetleitner und Kollege Michael Purucker führen die Gruppe gemessenen Schrittes immer höher hinauf. Udos Devise: „ Jedem Teilnehmer das Gefühl zu vermitteln, den Anforderungen gewachsen zu sein.“ Und dieser Mann muss es wissen.

Eindrücke von der Tour - klicken Sie sich durch unsere Slideshow! Schließlich führte der heute 67-Jährige bereits 1976 erstmals eine Gruppe von Oberstdorf nach Meran. Drei Jahrzehnte hat der Seniorchef der Bergschule Oberallgäu weit über 1000 Bergwanderer heil über die Alpen gebracht. Drei Jahrzehnte, in denen ein schier unerschöpfliches Sammelsurium an Begebenheiten, Anekdoten und Geschichten zu Bergen und Tälern, Hütten und Orten, Tieren und Menschen entlang der Route zusammengekommen sind: Quasi ein übergroßes Nähkästchen, aus dem der Lokalmatador nur allzu gerne plaudert.

So erfahren wir während des Abstiegs vom Mädelejoch ins Lechtal, dass über diese Route zwischen dem 19. Jahrhundert und dem Ersten Weltkrieg Bergbauernkinder aufgrund von Not und Arbeitslosigkeit aus Westtirol ins Schwabenland zogen.

Die „Schwabenkinder“ schufteten dort für einen Hungerlohn unter extrem harten Bedingungen als Hütekinder, Knechte oder Mägde. Dass es im Lechtal nicht nur Armut gab, zeigen uns die prachtvollen und mit wunderschönen Wandmalereien verzierten Herrenhäuser in Holzgau. Mir gefällt der kleine Ort auch aus einem anderen Grund besonders gut: Endlich habe ich ausreichend Empfang, so dass die Datenübertragung der ersten Tagesetappe bestens funktioniert und der Artikel online gehen kann.

Udo kennt jeden Stein auf der Tour, außerdem freut er sich jedes Mal auf die Betreiber der Hütten und Almen, die er auf seiner Runde durch die Berge trifft. Dass diese Freude auf Gegenseitigkeit beruht, zeigen die Reaktionen der Hüttenleute. Überall, wo Udo zur Tür hereinkommt, gibt es erst mal ein Begrüßungsschnapserl.

So auch auf der Memminger Hütte, wo uns Manuel Walch, der junge Wirt, herzlich willkommen heißt. Abends erwartet uns ein Drei-Gänge-Menü, wobei sich die Wirtsleute auf der Route viel Mühe geben, „ihren“ Udo nicht zu enttäuschen. Schließlich war er es, der diese Tour ausgetüftelt und damit entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Kassen der Hüttenwirte klingeln.

Aushalten, durchhalten, Maul halten!

Bergführer Udo hatte nicht nur die Gruppe gut im Griff.
Bergführer Udo hatte nicht nur die Gruppe gut im Griff.

Tags darauf steht der schwerste Abstieg unserer Wanderwoche auf dem Programm. Von der Memminger Hütte führt die Route über die Seescharte (2599 Meter) fast 1900 Höhenmeter hinab nach Zams.

Mittags erreichen wir inmitten eines kleinen Märchenwaldes die Unterlochalm, wo uns Wolfgang, Notburga und der 13- jährige Emanuel herzlich in Empfang nehmen und reichlich mit Udos Spezialdiät aus Käse, Speck und Rotwein versorgen. Hündin Senta komplettiert das Familienunternehmen.

Neben der Versorgung der E5-Wanderer kümmern sich die Drei um 130 Rinder und über 30 Haflingerpferde. Maschinen helfen hier nicht bei der Arbeit, die Milchkühe wollen per Hand gemolken werden, Lebensmittel holt Wolfgang zweimal wöchentlich aus dem Tal.

Trotz des harten und entbehrungsreichen Lebens machen die Drei einen rundherum zufriedenen Eindruck. Emanuel jedenfalls, so verrät er mir freudestrahlend, möchte in seinem Leben nichts anderes machen, als „seine“ Alm zu bewirtschaften.

Tief beeindruckt nehme ich mir vor, den weiteren Abstieg trotz erster Blasen an den Füßen klaglos hinter mich zu bringen. Udo treibt uns an: „Aushalten, durchhalten, Maul halten!“ Nur so funktioniert’s bei gefühlten Temperaturen von 50 Grad auf unserem schattenlosen Weg durch die tiefe Schlucht des Lochbachtals hinab ins Tal.

Ein arg ramponiertes Schild vor malerischer Kulisse.
Ein arg ramponiertes Schild vor malerischer Kulisse.

Am kommenden, dem vierten Tag unserer Alpenüberquerung, geht es zunächst mit der Venetbahn hinauf auf den Krahberg (2208 Meter) und von dort über ein Hochmoor und wunderschöne Blumenwiesen wieder hinab ins Dörfchen Wenns. Dort erwartet unsere verschwitzte Wandergruppe ein voll klimatisierter Reisebus und bringt uns durch das Pitztal nach Mittelberg.

Auch der von dort beginnende Aufstieg zur Braunschweiger Hütte, unserem heutigen Etappenziel, ist anfangs voll klimatisiert. Die Route führt uns entlang eines tosenden Wasserfalls, der durch Schmelzwasser aus dem Pitztaler Gletscher gespeist wird. Sekündlich stürzen gigantische Mengen eiskalten Wassers mit dröhnendem Donnern zu Tal. Das Uhren-Thermometer von Mitwanderer Alwin fällt binnen weniger Minuten von 34 auf 22 Grad!

Weiter geht es hinauf mit Blick auf Gletscher und Wildspitze. Uns gelüstet nicht mehr nach alpinistischen Heldentaten, sondern vielmehr nach einem guten Abendessen und einem weichen Bett. Beides bekommen wir auf der 1892 erbauten Braunschweiger Hütte.

Nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Panoramaweg wandern wir tags darauf hinunter nach Vent. Während der Rast in einer dortigen Gaststätte verziehe ich mich an einen Ecktisch und bearbeite die Tastatur meines Lap-tops. Die Teilnehmer wünschen mir derweil Glück und loben die bisher erschienenen Artikel.

„Woher wissen denn alle, was ich bislang geschrieben habe“, frage ich mich. Des Rätsels Lösung: Bernd, ein ALPIN-Leser aus Auel, hat ein sogenanntes Black-berry-Gerät im Gepäck, welches erlaubt, von unterwegs ins Internet zu gehen. So einfach ist das heutzutage!

Wasserfall, gespeist aus dem Pitztaler Gletscher.
Wasserfall, gespeist aus dem Pitztaler Gletscher.

Am Abschlusstag nimmt uns am höchsten Punkt unserer Wanderwoche auf satten 3019 Meter die liebevoll eingerichtete Similaunhütte freundlich in Empfang. Während unserer Pause komme ich mit Markus Pirpamer ins Gespräch. Der Hüttenwirt ist Aktivist gegen die Pläne der Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG), im hinteren Ötztal einen mächtigen Staudamm für ein Pumpspeicherkraftwerk zu errichten.

Was den Berg- und Skiführer besonders aufregt: „Das Wasser soll nachts mit billigem Strom aus Atom- und Kohlekraftwerken hinaufgepumpt werden und der tagsüber produzierte „saubere“ Strom dann zu höheren Preisen verkauft werden.“ Ökologisch Wahnsinn, ökonomisch profitabel. Der letzte Tag unserer Reise führt uns hinab in Richtung Vernagtstausee und zum Tisenhof. Es fehlt nur noch der letzte Programmpunkt.

Auf ein drittes im Jahr 2031

Der gemeinsame Abschiedsabend in einer schönen Weinlaube der weltberühmten Kurstadt Meran. Nach Udos Abschiedsrede ergreift spontan auch Bernd das Wort. Bereits vor 25 Jahren wanderten er und Ehefrau Monika von Oberstdorf nach Meran.

Als die beiden von der geplanten ALPIN-Reise hörten, entschlossen sie sich, das silberne Jubiläum ihrer Alpenüberquerung mit einer Wiederholung derselben zu begehen. „Warum das Ganze nicht in 25 Jahren noch einmal angehen?“, fragen sich nun die beiden. Einzige Bedingung: „Udo Zehetleitner muss die Tour führen.“ Der wäre dann 92 Jahre alt …

Text und Fotos: Holger Rupprecht